CFP: Demokratisierung des Kunstbetriebs? (Dresden, 10-11 Oct 19)

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 10. – 11.10.2019
Deadline: Apr 21, 2019

Demokratisierung des Kunstbetriebs? Transformationsprozesse zwischen Ost und West, 1960-1990

Das Interesse an Demokratisierungsprozessen und am Demokratiebegriff boomt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema „Demokratisierung des Kunstbetriebs? Transformationsprozesse zwischen Ost und West, 1960-1990“, die am 10. und 11. Oktober 2019 an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) stattfinden wird, sollen die bildenden Künste in diese Debatte einbezogen werden: Welche Versuche wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unternommen, demokratische Prinzipien wie Freiheit, Gleichheit, Partizipation und Pluralismus im Kunstbetrieb umzusetzen und damit in eine konkrete gesellschaftliche Praxis zu überführen? Die Bestände des Archivs der Avantgarden (AdA) im Museumsverbund der SKD dokumentieren das Kunstgeschehen zur Zeit der Demokratisierungsdebatten der 1960er und 1970er Jahre in der Bundesrepublik und bilden die Materialgrundlage für die Fragestellung der Tagung, die entsprechend von einer Präsentation ausgewählter Archivalien begleitet wird.

Die Leitfrage der Tagung ist, wie und von wem unter verschiedenen Systembedingungen die Umsetzung demokratischer Prinzipien im Bereich der bildenden Kunst errungen werden sollte. Drei Themenfelder sollen diskutiert werden, um die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Kunst und Demokratie zu strukturieren und sogleich auf mögliche Grenzen der Demokratisierung zu verweisen.

Das erste Themenfeld ist dem Begriff der Partizipation gewidmet. Das Ideal der Teilhabe, sei es am Kunstkonsum, an der Kunstpraxis oder in kunstpolitischen Entscheidungen, speiste sich aus emanzipatorischen Erwartungen an die Kunst. Kriterien wie drohende Mittelmäßigkeit und Qualitätsverlust stehen in einem spannungsvollen Gegensatz zu jenem der Auswahl. Der Kunstmäzen Peter Ludwig betonte beispielsweise 1969, dass er „seine Mittel einsetzen [kann], wie er es selbst für richtig hält. Ein öffentliches Gremium würde bei Ankäufen avantgardistischer Kunst in einem solchen Umfang Kritik aus der Öffentlichkeit einzustecken haben, daß dies in einem demokratischen Staat unzumutbar wäre.“ Auch Harald Szeemann war sich 1972 sicher: „Auswahl kann nicht demokratisiert werden.“
Ein zweites Themenfeld ergibt sich aus dem Widerspruch zwischen dem Ideal künstlerischer Autonomie und dem Anspruch gesellschaftlicher beziehungsweise politischer Relevanz. Ein Systemvergleich hinsichtlich der Bedeutung von bildender Kunst für die demokratische Öffentlichkeit scheint besonders interessant: Während ein Beobachter die Proteste auf der Biennale di Venezia 1968 auf ein „Unbehagen“ am Funktionsverlust moderner Kunst zurückführte, behauptet der Historiker Eric Hobsbawm 1994, in den osteuropäischen Ländern habe es etwas gegeben, wovon Künstler im Westen nur hätten träumen können, nämlich „das Gefühl, von ihrer Leserschaft oder von ihren Zuschauern gebraucht zu werden. In Ermangelung an realer Politik und freier Presse sprachen in der Tat nur die Künstler aus, was ihr Volk – zumindest die Aufgeschlossenen unter ihnen – fühlte und dachte.“ Obgleich die Frage nach Demokratie im ostdeutschen Kunstbetrieb wegen beschränkender und repressiver Eingriffe zunächst illegitim scheint, hat die jüngste Forschung herausgearbeitet, dass ein Demokratisierungsmotiv das kulturpolitische Engagement verschiedenster Akteure prägte.
Das dritte Themenfeld, Pluralismus, scheint Demokratie und Kunstschaffen zu einen. Kunst galt einigen gar als Ort der Erprobung von Toleranz und damit eines demokratischen Grundprinzips. Doch dieser prinzipielle Pluralismus wird zugleich eingeschränkt durch den Kunstmarkt und Machtverhältnisse, die Unsichtbarkeiten und Ungleichheiten produzieren. Die Tagung soll deshalb Ausgrenzungsmechanismen sowie Emanzipationsbewegungen des Kunstbetriebs thematisieren. Wenn die Verteilung von Ressourcen wie Geld, Aufmerksamkeit, Reputation und Entscheidungsmacht im Kunstfeld umstritten ist, stellt sich die Frage, welche historisch spezifischen Konstellationen und Handlungsbedingungen als demokratisch beziehungsweise undemokratisch eingeschätzt wurden. Welche medialen, politischen, sozialstaatlichen, kommerziellen Umstrukturierungen oder Ausgleichsmechanismen wurden von wem angestrebt?
Um diese Spannungsfelder zu ergründen, schlagen wir einen praxeologischen Ansatz vor, begreifen also sowohl bildende Kunst als auch Demokratie als soziale Ordnungen, die durch konkrete Handlungen erst erzeugt werden. Welche kommerziellen, ästhetischen, kunstpolitischen, -pädagogischen, -kritischen und ausstellungstechnischen Praktiken wurden im Zuge von Demokratisierungsversuchen besonders stark problematisiert und verändert? Der Leitbegriff der Tagung „Kunstbetrieb“ ist in seiner Offenheit bewusst gewählt, um möglichst viele Akteure und Institutionen berücksichtigen zu können: KünstlerInnen, HändlerInnen, das Publikum, KritikerInnen und Museen.

„Demokratisierung“ soll zum einen als Quellenbegriff historisiert werden, das heißt in seiner Semantik und seinem diskursiven Gebrauch (als Krisendiagnose, als Mobilisierung- oder Legitimierungsbegriff) im Bereich der bildenden Kunst erschlossen werden. Zum anderen wird seine Erprobung als Analysekategorie für gesellschaftliche Praktiken angestrebt: Inwiefern ist er zur wissenschaftlichen Beschreibung von Transformationen der Kunst und des Kunstbetriebs hilfreich – jenseits seiner Konjunktur als politisches Schlagwort in Westdeutschland in den 1960er und 1970er Jahren? Mit diesen Anliegen geht die Tagung über bisherige Ansätze hinaus, das Verhältnis von Kunst und Demokratie vor allem ausgehend von der ästhetischen Theorie oder über Biografien politisch engagierter Künstler westlicher Länder zu erfassen. Sie schließt an ein gegenwärtiges zeitgeschichtliches Interesse am Demokratisierungs- und Demokratiebegriff an und erprobt diesen im Bereich der Kunst. Zugleich reagiert sie auf Krisendiagnosen der aktuellen kunstmarktkritischen Literatur, die sich demokratietheoretisch fassen lassen. Hier soll die Tagung einen Dialog mit der Zeitgeschichtsschreibung eröffnen, die eine historische Einordnung in breitere kultur- und demokratiegeschichtliche Kontexte bietet.

Wir möchten ausdrücklich Beiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen einwerben, legen aber Wert auf eine historisch-empirische Ausrichtung. Reise- und Übernachtungskosten sollen nach Möglichkeit übernommen werden. Wir freuen uns auf Abstracts (ca. 300 Wörter) für ein 20-minütiges Paper und bitten um dessen Einsendung, zusammen mit einem kurzen Lebenslauf, bis zum 21.4.2019 per Email an: norma.ladewig@fu-berlin.de und martin.hartung@gta.arch.ethz.ch. Die Rückmeldung über die Annahme der Beiträge erfolgt bis Anfang Mai 2019.